Fra Angelico: Assumption

12 Sterne Kurier Nr. 68/Okt. + Nov. 2019: Marienfeste in der zweiten Jahreshälfte

Oktober ist bekanntlich der Rosenkranzmonat – so gesehen ist er nicht nur untrennbar mit der Anrufung Marias verbunden, sondern auch mit unserer Gemeinschaft, in der unsere Mitglieder die Erbgnade des Menschen erbitten können. Pater Notker erklärt uns in diesem Brief diesen Erweis der göttlichen Barmherzigkeit, die in den Sakramenten verankert ist. Zuvor teilt P. Notker einige persönliche Gedanken zu den Marienfesten in der zweiten Jahreshälfte.

Marienfeste in der zweiten Jahreshälfte

Am 15. August, dem Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, werfe ich einen Blick voraus auf mein eigenes Grab: Quidquid agis, prudenter agas, et respice finem! Was du auch immer tust, tue es weise, bedenke dein Ende. Unser Leben wird vom Ende her ein sinnvoller Pilgerweg. Das Beste kommt zum Schluss. Wie freue ich mich darauf und wie sehne ich mich danach. Wir werden dann staunen und schauen, schauen und loben, loben und lieben, lieben am Ende ohne Ende.

Mit Maria dürfen wir uns freuen auf unsere Vollendung und Auferstehung am Gedenktag Maria Königin, am 22. August, acht Tage nach ihrer Aufnahme in die Himmel zur Göttlichen Dreifaltigkeit. Wir dürfen uns freuen auf unsere eigene ewige Krönung im Himmel. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, im Übrigen erwartet mich die Krone, die Corona der Ewigen Vollendung. Wie schreibt Paulus in seinem Ersten Korintherbrief (15,17): Denn wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos. Da aber Christus auferweckt wurde, werden auch wir auferweckt werden. Daher singen wir an diesem Marienfest voller Vorfreude das Kirchenlied Philipp Nicolais zu Ende: „Wie bin ich doch so herzlich froh, dass mein Schatz ist das A und O, der Anfang und das Ende. Er wird mich doch zu seinem Preis aufnehmen in das Paradeis; des schlag ich in die Hände. Amen, Amen, komm, du schöne Freudenkron, säum nicht lange; deiner wart ich mit Verlangen“.

Am 8. September, dem Fest Mariä Geburt, darf ich meine eigene Geburt betrachten und das schöne Lied Jürgen Werths singen: „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, ganz egal ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur. Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist du!“ Ist das nicht wunderbar?

Am 12. September, dem Fest Mariä Namen, meditiere ich meine Taufe, in der ich die Zusage bekam: „Du bist Priester, König und Prophet! Dein Name ist in Gottes Hand geschrieben;“ Ich bete die tröstlichen Bibelverse, die meine eigene Taufe deuten: Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn. Meine Seele soll jubeln über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich festlich schmückt und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt (Jesaja 61,10). Du hast mich nur wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du mich gekrönt (Psalm 8,6). Du wirst eine prachtvolle Krone sein in der Hand des Herrn und ein königliches Diadem in der Hand deines Gottes (Jesaja 62,3).

Am 15. September, dem Gedächtnis der Sieben Schmerzen Mariens, stehe ich mit Maria unter dern Kreuz. „Warum?“ schreie ich zum Himmel. Wie viele Menschen verlieren ihren Glauben, weil sie nicht verstehen können, weshalb uns ein Gott der Liebe leiden lässt. Maria bietet uns die Antwort als leidende Mutter, als Pieta: Sie trägt den Gekreuzigten in ihrem Schoß. Dadurch stellt die Frage nach dem „Warum“ nicht länger Gott infrage, sondern wir stellen mit Maria diese Leidfrage an Gott, und Gott schenkt uns seinen Sohn, der mit uns leidet, der auch sein „Warum“ am Kreuz
ausgestoßen hat und unser Trost wird in der Hingabe in die absolute Vollendung. Mit Dietrich Bonhoeffer können wir singen: Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.

Am 8. Dezember wird der Empfängnis der Gottesmutter Maria ohne Erbsünde gedacht, also ihre Zeugung frei von der Sünderverfallenheit und Sündenverstricktheit der gesamten Menschheit über Generationen hinweg. Einst wurde das Fest „Unbefleckte Empfängnis“ genannt, was jedoch missverständlich ist und immer wieder verwechselt wird mit der sogenannten Jungfrauengeburt, also der Zeugung Jesu und seiner Geburt. Am Fest, an dem es hingegen um die Zeugung Mariens geht, kann ich meditieren, dass Gott auch mich „schon vor der Erschaffung der Welt“ erwählt hat – aus Liebe von Anfang an, im Voraus dazu bestimmt hat, durch Jesus Christus sein Kind zu werden (vgl. Epheserbrief 1,4 und 5).

Im Rhythmus des Kirchenjahres diese sechs Marienfeste in der zweiten Jahreshälfte. Das sagt mir: Es gibt nicht nur eine Erbsünde, sondern auch eine Erbgnade des Menschen, die bedauerlicherweise gegenüber der in der Verkündigung übertriebenen Erbsünde sträflich vernachlässigt wird. Gnade über Gnade, Segen über Segen, Maria – auch ich möchte dein Loblied singen alle Tage meines Lebens.

In Jesus und Maria und Josef
Ihr/Euer P. Notker OSB