„O wunderbarer Austausch, Gott ist Mensch geworden, unglaublich, unverstehbar. Gott ist Mensch geworden, geboren aus der Jungfrau Maria.“ Im liturgischen Jahreskreis feiern wir sieben Tage nach dieser sprichwörtlich weltbewegenden Geburt des Herrn das Hochfest seiner Mutter, das auf den Neujahrstag fällt. Auch Maria ist bis zur Taufe Jesu ganz eingenommen von der Pracht des göttlichen Kindes. Und die ersten Augenzeugen der Ankunft Gottes unter den Menschen sind Hirten: „Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,17-19). Gertrud von Helfta hat die Anrufung an die Gottesmutter so formuliert: „Sorge voll Güte während meines ganzen Lebens für mich und nimm mich in der Stunde meines Todes auf in deine allumfassende Mütterlichkeit“. Sie bezieht hier die gesamte Spanne zwischen Geburt und Tod des menschlichen Lebens, deren unaufbrechbare Zusammengehörigkeit auch in unserer Bildwelt sichtbar wird. Sowohl bei seiner Geburt als auch nach seinem Tod liegt Jesus in den Armen seiner Mutter, die alle wesentlichen Schritte seines Wirkens unter den Menschen begleitet hat. Das kommt auch in der Piéta zum Ausdruck, über die P. Augustinus Gröger OSB (Beuron) eine Meditation verfasst hat.
Meditation über eine mittelalterliche Pieta
Pater Augustinus schreibt: „Die Pietà ist laut Antiquarin, Frau Geissmann, Wohlen/Schweiz, französischen Ursprungs, um 1420 entstanden, 95 cm hoch bei maximaler Breite von 55 cm, in einem Stück samt dem Stuhl aus Eiche geschnitzt, mit weitgehender Originalfassung. Sie scheint untersichtig gearbeitet zu sein, d.h. für einen optimalen Eindruck muss sie der Betrachter von unten sehen.
Gezeigt ist keine Frau aus dem Volk, vielmehr nach damaliger höfischer Auffassung von der Muttergottes eine hochadlige Dame, elegant thronend, doch ohne alle weltliche Raffinesse. Das durchgeistigte Gesicht lässt ahnen, dass sie mehr verkörpert als oberflächlichen Glanz. Es vermittelt eine Ahnung von der Klarheit, Beseeltheit, ja inneren Schönheit der des Gottessohnes wegen ohne den Makel der Erbsünde Empfangenen. Ganz, ungeteilt ist sie dem Herrn zugewandt, den sie mit zarten Händen auf dem Schoß hält. Die Rechte stützt sein Haupt, die Linke umfasst behutsam seinen Leib.
Es sieht aus, als blicke sie friedvoll, erfüllt von ernster innerer Freude auf das Kind Jesus – eine Darstellungsform, die im 15./16. Jahrhundert des Öfteren begegnet. Ein besonders expressiv eindrucksvolles Beispiel ist die Pietà von ca. 1530 in der ehem. Zisterzienserinnenkirche zu Heiligkreuztal bei Riedlingen/Donau. Dort ruht ebenfalls ein unverhältnismäßig kleiner Leichnam Jesu auf dem Schoß Mariens. In ihm sieht sie mit dem Mund freudig lächelnd visionär das Kind, während sie mit den Augen über den real toten Leib weint.
Als schliefe Jesus nur mit geschlossenen Augen und geschlossenem Mund bei gepflegt wirkendem Bart und Haar, strahlt sein Antlitz ohne Anzeichen des ausgestandenen Leidens große Ruhe und Frieden aus: „Es ist vollbracht” (Joh 19,30; vgl. Ps 22,32), nämlich das Werk der Erlösung, zu dem Gottvater den Sohn in die Welt sandte. Der rechte Arm hängt zwar kraftlos herab, ein Topos der meisten Pietà-Darstellungen, aber die Hand öffnet sich dem Betrachter entgegen: Der Herr noch im Tod schenkend, wie es seine ganze menschgewordene Existenz ausmacht. Das Gold des Lendentuchs wiegt die sonstige Nacktheit des real Mensch Gewordenen auf und deutet an, dass wir es hier nicht einfach mit einer Leiche zu tun haben, vielmehr mit dem durch den Tod hindurch in die unvergleichlich kostbare Herrlichkeit des Himmels eingegangenen Gottessohn, der in uns das oft durch irdische Werte verstellte Verlangen nach der jenseitigen Vollendung wecken will.
Unvoreingenommen mag man einen ungehörigen Gegensatz von nacktem Leichnam und doch prachtvoll gekleideter Gottesmutter erblicken. Einmal ist damit betont, dass der Gottessohn, das WORT, das Gott war, Fleisch, also realer, sterblicher Mensch geworden ist (vgl. Joh 1,1.14). Beim heiligen Paulus liest sich das so: „Gott gleich, hielt er nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde den Menschen gleich. Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-8), wo er in äußerster Solidarität mit uns, der Kleider beraubt, den Blicken und dem Spott der Welt ausgesetzt ist.
Er hat also, sich entäußernd, zum anderen gewissermaßen seinen himmlischen Ornat ausgezogen und damit Maria und mit ihr die Kirche bekleidet, allerdings in umgekehrter Farbfolge. Trägt der erwachsene Christus gewöhnlich das, was ihm zunächst ist, direkt am Körper, nämlich das Blau seines Gottseins, und darüber den Mantel im Rot seines Geschöpf- und Menschseins, so liegt der Gottesmutter das Rot ihres Menschseins direkt am Körper, darüber in weichen Falten der Mantel und unter dem Kleid hervorlugend sogar die Spitze des rechten Schuhs im Blau der Gnade Christi – „voll der Gnade” (Lk 1,2830): das Rot der sündigen Menschheit, aus der sie stammt, blau blau überfangen von der Erlösung durch den Gottessohn.
Aber auch dies: im Rot überströmt vom Blut des Gotteslammes (Vgl. Offb 7,14; Joh 1,29), reingewaschen vom Makel der Ursünde. Das Weiß von Futter und Schleier lässt sie teilhaben an der Auferstehung und Verklärung Jesu. Doch sie bleibt Geschöpf, irden nach dem Braun des Kopftuchs unter dem Schleier, allerdings dem Gold der Säume nach vorn Sohn erhaben in die Herrlichkeit des Himmels. Das heißt: Was Maria ausmacht, hat sie nicht aus sich selbst, sie verdankt es ganz dem Sohn; immer deutet sie auf ihn hin. Auf ihn kommt es an.
Keine bloß liebliche Figur, fordert die Skulptur den Betrachter ein, tiefer zu sehen und sich erfüllen zu lassen von dem himmlischen Trost, den das Bildwerk vermitteln konnte und immer noch in den heutigen Nöten des Lebens dem betrachtend Betenden vermitteln will, wenn er nur oft und lange vor ihm verweilt.“
Wir wünschen allen im Rosenkranzgebet ein gesegnetes Jahr 2020, das uns nach und mit dem Vorbild der Gottesmutter lehrt, wie wir Christus nachfolgen sollen.
In Jesus und Maria und Josef
Ihr/Euer P. Notker OSB